Predigt über 1Mos 32,23 - 32
am 28.4.2024 Cantate |
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Ort: Tüllingen - St. Ottilien |
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!
Einleitung
Wieder einer der Sonntage mit einem herausfordernden Namen – Cantate – singet dem Herrn ein neues Lied. Gesungen haben wir schon einiges in diesem Gottesdienst, aber: war uns nach singen zu Mute, ist uns immer nach singen zu Mute? Ersticken wir, wie ich es eingangs bereits gesagt habe, nicht das eine oder andere Mal in Sprachlosigkeit? Ich denke, diese Sprachlosigkeit darf sein aber es ist wichtig, dass wir wieder herauskommen aus dieser Sprachlosigkeit, dass wir unsere Sprache gegenüber Gott wieder finden und uns IHM überhaupt wieder zuwenden.
In dieser Predigt möchte ich sie einladen, sich mit mir auf eine Spurensuche zu begeben, Ideen zu finden, wie wir unsere Sprache, Formen wiederfinden, Gott zu begegnen. Als Christ suche ich zuerst in der Bibel nach Antworten auf meine Fragen, nach Ideen für mein Leben. Die Bibel ist voller Geschichten, Erzählungen und Berichte – Geschichten, die mich faszinieren und begeistern – Erzählungen die mich hinterfragen und herausfordern - Berichte die rätselhaft, fremdartig sind und bei mir Fragen aufwerfen und mich zunächst einmal ratlos zurück lassen. In einem solche rätselhaften, eigentümlichen aber zugleich auch irgendwie faszinierenden Bericht starte ich meine Spurensuche.
Ich lese:
-- Text lesen: 1Mos 32, 23 – 32 -
Eine wirklich seltsame Geschichte, fremdartig und geheimnisvoll. Eine Geschichte die bei mir zunächst mehr Fragen hinterlässt als dass sie mir Antworten anbietet. Aber auch eine Geschichte die eingebettet ist in eine Familiengeschichte die einige Kapitel (1Mo 25,19) zuvor ihren Anfang nimmt und sich bis zum Ende dieses ersten Mosebuches ebenso turbulent wie faszinierend hinzieht.
Was ist bisher geschehen? Jakob befindet sich auf dem Weg zu einer heiklen Mission. Er ist auf dem Weg zu seinem Zwillingsbruder Esau um sich mit ihm zu versöhnen. Zwanzig Jahre liegen zwischen der letzten Begegnung der Zwillingsbrüder. Jahre in denen Jakob immer wieder auf der Flucht war. So stoßen wir mitten hinein in eine Familiengeschichte. Familiengeschichten haben ja ihren besonderen Reiz, weil sie immer auch Abbild oder auch Wunschbild der eigenen Familiengeschichte sind, bis in unsere Tage. Es sind Geschichten voller Freude und Leid, von gelingen und scheitern, Verzweiflung und Hoffnung, Geschichten, welche das Leben schreibt und uns herausfordern, unsere eigenen Geschichten zu leben, zu reflektieren, immer wieder zu schauen wo stehe ich, auch in meiner Beziehung zu Gott, und so auch meine eigene Geschichte zu schreiben. Diese Familiengeschichte Jakobs ist durchzogen von Lug und Trug aber sie ist auch immer eine Geschichte mit Gott und wird so zur Heilsgeschichte1. Jakob der seinen Bruder hintergangen und den Vater „als Mamas Liebling“ betrogen und dem Erstgeborenen Esau den väterlichen Segen und damit das väterliche Erbe abgeluchst hat. Der später von seinem Onkel Laban zu dem er, aus Furcht vor dem Bruder geflüchtet war, bei der Brautwahl ausgetrickst wird2 und es diesem später heimzahlt, als er sich die besten Tiere aus Labans Herde durch eine List zu eigen macht.
All die Jahre hat ihn sein Verhältnis zu seinem Zwillingsbruder Esau und die Hoffnung umgetrieben, dass sie sich wieder versöhnen. Und so macht er sich auf den Weg zurück in das Land seiner Väter und zu seinem Bruder.
Auf dem Weg dorthin ereignet sich diese merkwürdige nächtliche Begegnung. Es gäbe viel was darüber zu sagen oder auszutauschen wäre. Ich beschränke auf meiner Spurensuche auf drei Gedanken, die ich mit ihnen teilen3 und sie mit hinein nehmen möchte:
1. Jakobs nächtliche Begegnung
Immer wieder haben Jakob auf seinem Weg zurück in das Land seiner Väter und der Begegnung mit seinem Bruder Zweifel gepackt. Und das, obwohl er von Engeln Gottes den Auftrag bekommen hatte, sich auf diesen Weg zu begeben (1Mo 31,13). Jetzt trennt ihn nur noch eine Nacht von dieser Begegnung. Dann wird er wissen, wie er von Esau empfangen wird, mit offenen Armen oder mit dem Schwert. Er hat sich alles so schön zu Recht gelegt: seine Familie, seine Frauen und Kinder hat er vorausgeschickt, mit all seiner Habe die er als Geschenke für seinen Bruder gedacht hat. Alles perfekt ausgeklügelt.
Nun bleibt er alleine in der Schlucht des Jabbok zurück und starrt in das Dunkle der Nacht. Er kauert sich in der Kühle zusammen und wartet auf den Morgen. Er denkt nach und lässt sein Leben in Gedanken Revue passieren. Und plötzlich, wie aus dem Nichts taucht ein anderer Mann auf und fällt über ihn her. Die beiden Männer ringen miteinander bis zum Morgengrauen, jeder immer in der Hoffnung, diesen Kampf, dieses Ringen für sich entscheiden zu können.
Wer war dieser andere Mann? Letztlich wissen wir es an dieser Stelle nicht und seine Identität bleibt im Verborgenen. Vielleicht denkt Jakob, er kämpft mit Esau der ihm aufgelauert und sich in der Nacht an ihn herangeschlichen hat oder ist es ein Engel Gottes?
2. Jakob ringt mit Gott und kämpft den Kampf seines Lebens
Bleiben wir bei der Vorstellung, die auch in vielen Bibelübersetzungen und -übertragungen durch die Überschrift über diesen Bericht zum Ausdruck gebracht wird, dass Jakob mit Gott gerungen, gekämpft hat. Das passt für mich auch in das Bild eines Gottes der uns Menschen, der mir nahe, ganz nahe kommt, physisch nahe kommt, sich sogar berühren lässt. Wir erinnern uns an die blutflüssige Frau die ihn berührt (Mt 9,20), wie Jesus das Kind herzt (Mk 9,36), sich die Füße (Lk 7,36) und das Haupt salben (Mk 14,3) lässt und an den Jünger Thomas, den Zweifel gepackt haben und dessen Finger Jesus in seine Wunden legen lässt (Joh 20,25).
Jakob kämpft mit diesem Mann den Kampf seines Lebens – seinen Lebenskampf. Jakob hat sich diesen Überlebenskampf nicht ausgesucht, er wurde ihm aufgezwungen, wurde förmlich in ihn hineingezogen. Mir kommt es vor, als klammere sich Jakob an diesen Mann, hält sich, klammert sich in seinem Lebenskampf an ihm, an diesem, an seinem Gott fest. Aber auch Gott lässt ihn nicht einfach los sondern hält Jakob in diesem Klammern ebenfalls fest – könnte man darin die Treue Gottes ausmachen? Selbst als er von diesem verletzt wird gibt er nicht auf sondern erbittet – ja verlangt nach dessen Segen. Es ist ein schmerzhaftes Ringen mit und um Gott (vgl. Menschen mit Mission; S. 378).4
Damit tun wir uns schwer, wenn sich Gott nicht als der Gott der Raiffeisen und Volksbanken erweist und uns den Weg einfach so frei macht. Wenn er eben solche herausfordernden Lebenssituationen zulässt, nicht alles Übel, nicht alle Schweirigkeiten von mir fernhält oder sich uns sogar in den Weg stellt. Wir tun uns vielleicht auch deswegen schwer, weil wir verzerrte um nicht zu sagen falsche Gottesbilder haben, weil sie zu sehr von unseren Traditionen, Vorstellungen und Wünschen geprägt und bestimmt sind.
Jakob macht am Ende die Erfahrung der göttlichen Güte. Die Erfahrung göttlicher Güte macht nicht alles wieder gut, aber sie macht wieder lebens- und beziehungsfähig ohne den Bruch zu verbergen.5 Das erinnert an Narben die nach einer Operation zurück bleiben und an das Geschehene und den Heilungsprozess erinnern oder an die japanische Kunst des Kintsugi, bei der zerbrochene Keramik nicht wieder „einfach“ so repariert wird, dass möglichst nichts von den Bruchstellen zu sehen ist, sondern genau das Gegenteil. Hier werden die Bruchstellen mit Gold ausgegossen und die Bruchteile so wieder miteinander verbunden. Es soll sichtbar bleiben, was einmal kaputtging nun aber wieder gebrauchsfähig ist und neue Schönheit erlangt. Übertragen auf unser Leben und unsere Lebenssituationen können wir auch sagen, wir wieder lebensfähig werden.
In den Versen unseres Predigtabschnittes nehmen wir Teil an einem Ringen und einem Klammern an dessen Ende der Segen Gottes steht. So ist der von Gott Gezeichnete ein von Gott Gesegneter.
3. Ringen wir mit Gott
Hier fallen mir zunächst Ähnlichkeiten zu meinem Leben und Lebensvollzügen ein. Wie auch immer – Jakob hat mit Gott gerungen und wie auch immer, ringe ich immer wieder mit Gott. Dann wenn ich auf meinen krummen Wegen unterwegs bin, dann wenn ich Lebenssituationen oder gar mein Leben nicht mehr verstehe, alles wegzubrechen oder sich aufzulösen droht, dann nicht loszulassen sondern dran zu bleiben an Gott, mich in IHN zu verhaken, um seinen Segen zu ringen.
In diesem verhakt werden und verhakt sein in und mit Gott begegne ich IHM, nicht nur oberflächlich sondern von Angesicht zu Angesicht, sogar körperlich. Hier, im Leid, in der Klage komme ich Gott ganz nah. Das haben auch bekannte Vertreter moderner Lobpreislieder wie Arne Kopfermann oder Albert Frey erkannt. So schreibt Albert Frey „von einer Krise der Anbetung“.6 oder noch pointierter Arne Kopfermann der sagt, wir haben für die abgründigen Erfahrungen der Trauer und der Verzweiflung zu wenig geprägte Worte und Formen.7
Im weiteren Nachdenken entdecke ich konkret Parallelen zu meinem Leben, Situationen bei mir persönlich oder auch in meinem Umfeld die plötzlich hereinbrechen. Die unerwartete Diagnose beim Arzt, die Sorge wie das wird im Alter und ob die Rente reicht8, der Zerrbruch der Ehe, dass die Kinder ganz andere Wege gehen als sich das Mama und Papa vorstellen oder der Tod eines geliebten Menschen, mir Gott immer fremder wird und Zweifel plagen. Unvorbereitet stehe auch ich in Lebenssituationen die mir wie ein Überlebenskampf9 vorkommen und ich muss ringen und kämpfen um am Leben zu bleiben. Um nicht unterzugehen klammere, verhake ich mich an, mit und in Gott. Dorothee Adrian schreibt in ihrer vielbeachteten Masterarbeit an der Theologischen Fakultät Basel davon, dass diese Grunderfahrung von Leid und Schmerz wahrzunehmen, ein Weg, ein Ort ist, wo Gott zu finden sei.1011
In solchen Schlucht- und Nachtsituationen unseres Lebens können wir uns das zu eigen und für uns, für mich erfahrbar machen, was Paulus so formuliert hat: „…weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Rö 8,39) Dann, wenn wir uns dies zu eigen machen wird dieser Vers weit mehr als nur ein Spruch auf einer frommen Postkarte oder auf einem Kalenderblatt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, Jakob muss an so etwas geglaubt, darauf vertraut haben. Das heißt aber nicht, und ich erinnere nochmals an die Kunst des Kintsugi, dass alles wieder ungeschehen gemacht wird, aber dass die Beziehung zu Gott wieder lebensfähig macht, auch wenn ich als Gezeichneter daraus hervorgehe.
Schluss
Gerungen – gezeichnet – gesegnet so könnte man diese Erzählung auf den Punkt bringen.12 Jakob hat immer wieder mit Gott gerungen. Und dieser Gott ist kein anderer als der Vater Jesu Christi, dem Gottessohn, der mit seinem Vater gerungen hat im Garten Gethsemane (Mt 26,36) und am Kreuz auf Golgatha („Mein Gott, mein Gott/mein Vater, mein Vater warum hast Du mich verlassen Mt 27,46). Jesus der alles – absolut alles – selbst durchlitten (Hebr 4,15) und durchkämpft hat und in DEM Gott gerade in diesen Situationen selbst war (2Kor 5, 19)13
Wo werden wir angeleitet, wie wir, wie ich mit Gott ringen kann?14 Wo können wir die Halte- und Klammergriffe für dieses Ringen lernen? Ich wünsche uns, ihnen und mir Menschen die mich ermutigen, lehren und zeigen mit Gott zu ringen. Gemeinden, in denen miteinander15 vor und mit Gott gerungen wird. Und ich wünsche mir Gemeinden in denen Klagen nicht als Glaubensschwäche sondern als tiefes Beziehungsgeschehen mit und in Gott verstanden wird und dafür Ausdrucksformen gefunden werden.
Ringen wir mit Gott damit Gott Gott sein kann und wir erkennen wie ER ist. Kommen wir IHM dabei ganz nah weil ER sich nicht scheut, uns ganz nah zu kommen.16 Dann kommt ein neues Lied leise über unsere Lippen17.
Amen.
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Obertüllingen 107
79539 Lörrach-Tüllingen
07621/9153229
eMail: karl-heinz.rudishauser(a)t-online.de
1 Hagedorn, Eckhard; Fette Beute – Warum die Bibel so dick ist; Fontis – Brunnen Basel; 2017
2 Besondere Bibelstellen: 1Mo 28,13.18; 31,13 u.a.
3 1Mos 29,14ff
4 Es geht um beides: einander mit-teilen und miteinander teilen
5 DIETZ, Thorsten: Menschen mit Mission, SCM R. Brockhaus, Holzgerlingen; 2022; S. 378
6 A.a.O. S. 379
7 So zitiert in: DIETZ, Thorsten: Menschen mit Mission, SCM R. Brockhaus, Holzgerlingen; 2022; S. 378
8 #99 Wenn dein Kind stirbt (m. Arne Kopfermann) – Hossa Talk (hossa-talk.de) – zuletzt aufgerufen am 13.4.2023
9 KRUSE, Anne-Kathrin gekämpft – gezeichnet – gesegnet | Predigt zu 1. Mose 32,23-32 von Anne-Kathrin Kruse | predigten.evangelisch.de – zuletzt aufgerufen am 13.4.2023
10 ADRIAN, Dorothee; Wenn Gott geschieht, Masterarbeit, vorgelegt an der Theologischen Fakultät der Universität Basel, 2023; S. 41f
11 zum Thema Umgang mit Leid und Schmerz höre auch SCHWENDIMANN, Priscilla in reflab - Geist.Zeit, Folge 24 queere Spiritualität ab ca. Minute 37 bis 41
12 KRUSE, Anne-Kathrin a.a.O.
13 siehe hier ZIMMER, Siegfried Prof. Dr. in worthaus; 13.1.1 ab Minute 33
14 DIETZ a.a.O. S. 378
15 miteinander im Sinne von gemeinsam aber auch mit-einander
16 KRUSE, Anne-Kathrin a.a.O.
17 Dies steht im Zusammenhang mit dem Wochenspruch, den ich am Anfang des Gottesdienstes aufgegriffen habe (siehe Anmerkungen Tüllingen).
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