Predigt über 2Kor 13,11 - 13
am 15.6.2025 Sonntag Trinitatis |
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Ort: Seefelden |
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!
Einleitung
In der Stadtmission Lörrach gibt es ein Format mit dem Namen denk:bar. Das ist ein offenes Gesprächsformat in dem wir über die unterschiedlichsten Themen ins Gespräch kommen und dabei auch der Idee nachgehen wollen, was für Christen denkbar ist oder ob es Grenzen des denkbaren gibt und wo diese liegen. Dabei ist der Anspruch nicht, letztgültige Antworten oder die richtige These zu finden. Vielmehr wollen wir zuhören und aufeinander hören, miteinander ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben. Vor einigen Wochen ging es um das Thema "Meine Gottesbilder im Wandel der Zeit. Wir verändern uns lebenslang. Wie ist das im Blick auf Gott, mein Bild von, mein Denken über und mein Leben mit ihm?!". Darüber sind wir mit Dorothee Adrian ins Gespräch gekommen. Sie hat im letzten Jahr an der Uni Basel eine von der theologischen Fakultät ausgezeichnete Masterarbeit zu diesem Thema geschrieben - Wenn Gott geschieht. Es wurde ein inspirierender Gesprächsabend mit sehr vielen persönlichen Akzenten und Aussagen.
Wie sieht das bei ihnen aus mit dem, mit ihrem Gottesbild? Kennen sie es und wie wirkt sich dieses auf ihr Christ sein und ihre Nachfolge aus? Sonntag Trinitatis, der dreieinige Gott, das christliche Gottesbild schlechthin. Dem und seinen Auswirkungen auf unseren Alltag möchte ich heute nachgehen, etwas auf die Spur kommen, in guter denk:bar Manier.
- Text lesen: 2Kor 13, 11 - 13 -
In meiner Nachfolge hat sich einiges etabliert und wird immer wieder umgesetzt. Eines der Dinge, die nie richtig funktioniert haben und um die ich eher einen durchaus großen Bogen mache ist "Grüßt euch mit dem heiligen Kuss." Wenn ich das lese oder höre fällt mir als erstes der Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker im Jahr 1979 ein. Sie, zumindest die älteren unter ihnen haben das Bild vor Augen? Er ging in die Geschichte ein. Umarmung und Küsse sollten Ausdruck von Freude, Brüderlichkeit und Gleichheit sein.1 Ich wüsste jetzt auch nicht, wo sich diese Geste in christlichen Kreisen etabliert hat und praktiziert wird. Allenfalls bei manchen Zelebranten in katholischen oder orthodoxen Gottesdiensten. Jetzt habe ich mir gedacht, wenn schon einmal in einem Predigttext so prominent darauf hingewiesen wird, möchte ich mich dem stellen - und weiterhin einen großen Bogen darum machen. Glücklicherweise gibt es im heutigen Predigttext ausreichend thematische Alternativen.
Wenn sie sich jetzt schon auf eine 10-Punkte Predigt über den Bruderkuss gefreut haben und jetzt enttäuscht sind. Vielleicht kann ich sie doch gewinnen sich auf meine Gedanken über das Gottesbild von Trinitatis und was das mir unserem Leben zu tun haben könnte einzulassen.
Ein erstes, was ich mit ihnen teilen möchte:
1. Beziehung und Konflikt
Unser Predigttext ist geprägt von Wörtern, Begriffen die in Zusammenhang mit Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit stehen: einerlei Sinn, Frieden, Liebe, Kuss, Gemeinschaft oder auch die Anrede Brüder und Schwestern. Gemeinschaft und Gemeinschaften sind ein wesentlicher und prägender Bestandteil unseres menschlichen Lebens und unserer Gesellschaft. Wir alle sind darauf angewiesen, dass diese funktionieren und tragende Elemente der Gesellschaft sind und bleiben, und dies möglichst in Einheit und Eintracht. Umso schmerzlicher, wenn dies nicht der Fall ist. Wenn Gemeinschaften zerbrechen und Menschen sich unversöhnlich auseinanderleben. Wenn aus Meinungsverschiedenheiten tiefe und schier unüberwindliche Gräben entstehen. Etwas, was wir seit Corona auch bei uns schmerzlich erleben bis hinein in Freundeskreise und Familien.
Zu jeder guten Beziehung gehören Konflikte. Mit einer Einschränkung: solange sie nicht das bestimmende Moment in der Beziehung werden. In diesem Fall sollte man möglicherweise nochmals grundsätzlich auf die Beziehung blicken und sich Gedanken darüber machen. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir keine Beziehung in meinem Leben ein, in der es nicht einmal den ein oder anderen kleineren oder auch größeren Konflikt gegeben hätte. In den jungen, impulsiven Jahren noch eher als mit zunehmenden Alter. Und manchmal kann ich noch heute lustvoll streiten, mich für eine Sache oder einen Menschen verkämpfen und darum ringen. Insbesondere dann, wenn mir der Mensch oder die Sache wichtig und bedeutsam ist.
Reinhard Sprenger, seines Zeichens Führungscoach, hat zu Konflikten einmal folgendes gesagt: "Der Konflikt stößt ab und zieht an, verbindet und trennt, vitalisiert und paralysiert. Jeder weiß, dass ohne Konflikt keine Entwicklung möglich ist. Dennoch versucht ihn jeder zu vermeiden. Und wenn das nicht geht, ihn zu lösen. Was unwahrscheinlich ist. Nicht einmal wünschbar. Genau dieses Pulsieren ist aber wichtig für die Zukunft unserer Kinder, die in keiner Konsensgesellschaft mehr leben werden, sondern in einer Konfliktgesellschaft. Dafür brauchen wir einen anderen Konfliktbegriff."2
Die Beziehung des Apostels Paulus zur Gemeinde in Korinth war geprägt von einer ausgeprägten spannungsvollen Geschichte mit Konflikten und Auseinandersetzungen. Davon legt gerade dieser zweite Brief an die Korinther Zeugnis ab. Wenn Paulus ankündigt niemanden zu schonen (13,2) oder er hofft, keine Strenge gebrauchen zu müssen (13,10). Wie es mit Paulus und den Korinthern weiterging wissen wir nicht, darüber haben wir keine Zeugnisse und so bleibt nur, dass ich mich an dem orientiere, was ich aus diesen Versen erkenne und ablese.
2. Beziehung - Konflikt - Ausweg
Wie gesagt, die Beziehung des Apostels Paulus zur Gemeinde in Korinth war eine konfliktreiche. Da flogen teilweise richtig die Fetzen mit persönlichen Angriffen und es ging hoch her und Paulus offenbarte sein ganzes Temperament (vgl. Eiferer für Gott Apg 22,3) so dass kein Auge trocken blieb und vermutlich auch Tränen flossen. Wie soll das wieder werden, mit uns, die wir uns im Ringen um den richtigen Weg im Strukturprozess, dem Umgang mit den unterschiedlichsten Vorstellungen und Interessen, einer zeitgemäßen Gottesdienstform, was ethisch erlaubt ist und was nicht festgelaufen haben. Und manchmal kann das sehr detailliert und leider sogar kleinkariert werden. Ich erinnere mich an endlose Bausitzungen im Bauausschuss für den Neubau der Stadtmission in Lörrach oder ethische Diskussionen. Aber wahrscheinlich ist ihnen das bekannt. Auch aus anderen Kontexten als dem gemeindlichen. Und die Frage: Wie kommen wir da wieder raus und miteinander ins Gespräch?
Nach Ostern war ordentlich etwas los in Rom. Papst Franziskus war gestorben, wurde feierlich begraben, ein neuer Papst wurde in einer jahrhundertealten Tradition gewählt und ins Amt eingeführt. Zweierlei ist mir dabei durch den Kopf gegangen: Kult, das können sie unsere katholischen Schwestern und Brüder, da macht ihnen so schnell niemand etwas vor. Und das zweite: das ist wahrlich eine weltweite Kirche. Der Petersplatz übersät von Menschen mit Fahnen und Transparenten aus aller Herren Länder. Und diese weltweite Kirche, diese weltweite Gemeinschaft mit all ihrer Unterschiedlichkeit und Heterogenität muss nun Papst Leo XIV zusammenhalten. Um den Job würde ich mich nicht reißen. Aber der Anspruch bleibt.
Bei so einem Ereignis wie der Einführung eines neuen Papstes rücken die Differenzen in den Hintergrund, da gelingt es, dass sich Menschen aus der ganzen Welt auf das eine sie einende zu fokussieren, sich ihrer Kirche und dem der sie gegründet hat zu erinnern und bewusst zu werden.
Im Zeitalter in denen die Aufmerksamkeit in TicToc oder Instagram-Videosequenzen gemessen werden kann, verlieren wir uns schnell im klein klein und verlaufen uns dann darin und finden keinen Ausweg mehr. Eine solche Fokussierung gelingt Paulus auch. Paulus gelingt es, rechtzeitig abzubiegen, nicht im Reptilienhirn zu verharren.
Mit allerlei Mittel hat Paulus versucht seine Gemeinschaft (koinonia3) mit der korinthischen Gemeinde wieder zu klären: Besuche, Briefe, Berichte, Gerüchte, Traurigkeit, Freude.4 Parakaleó ist das Zauberwort, das Wort das den Bogen spannt zwischen der ernsten Ermahnung und dem trostvollen und von Zuversicht geprägten Zuspruch. Parakaleó ist ein schillernder Begriff der uns vom Wort Tröster bekannt ist, der Paraklet mit dem immer wieder der Heilige Geist bezeichnet wird. Luther hat ihn leider meist mit "ich ermahne euch" übersetzt. Also lesen sie immer da, wo in ihrer Bibel "ich ermahne euch" steht, gerne "ich bitte euch" mit. Die Aussagen erfahren eine ganz andere Bedeutung.
Ich nähere mich dem Zentrum des Predigttextes, quasi der Hauptaussage die Paulus in diesen Versen trifft: Trinitatis.
3. Einheit in Verschiedenheit - Trinitatis oder gelebte Ambiguitätstoleranz
Wie bitte - Ambi ... Ambi was? Was um alles in der Welt ist Ambiguitätstoleranz? Dem bisher gesagten konnten sie noch mit Stirnrunzeln und Fragenzeichen folgen, aber Ambiguitätstoleranz? Ambiguitätstoleranz oder wie ich gerne zu sagen pflege "Mehrdeutigkeitsresilienz" ist für viele einer der zentralen gesellschaftlichen Begriffe und die Fähigkeit um mit den aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen umgehen zu können. Einer der Begriffe, mit dem seit etwa Ende der 80-iger Jahre des letzten Jahrhunderts gesellschaftliche Phänome beschrieben werden die bis heute immer mehr an Deutlichkeit zugenommen haben. Um bei ihnen die Spannung aufzulösen und sie weiter der Predigt folgen können: es geht darum, dass wir in unseren Gesellschaften zunehmend damit zu tun und auch zu kämpfen haben, dass vieles nicht mehr eindeutig ist, dass man Sachverhalte durchaus verschieden deuten und bewerten kann, es fehlt die Eindeutigkeit. Das aber widerspricht unserem menschlichen Bedürfnis nach Klarheit, nach entweder oder. Unsere Sehnsucht gilt der Einheit, dem einvernehmlichen. Aber vielleicht geht es manchmal statt um ein entweder oder vielmehr um ein sowohl als auch. Wir nähern uns inhaltlich Trinitatis. Denn meine These ist: um mit dem trinitarischen Gottesbild klar zu kommen und damit zu leben braucht es Ambiguitätstoleranz.
Eine der zentralen Bitten des "sterbenden Jesus" in seinem Hohepriesterlichen Gebet in Johannes 17, 22f lautet: "Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst."
Darüber haben sich Denker und Theologinnen vieler Jahrhunderte bis in unsere Tage intensiv Gedanken gemacht und sich auf der Suche nach DER Wahrheit, DER richtigen Definition nicht nur einmal heil-los darüber zerstritten - also nichts mit Einheit. Aber wie waren, wie sind der Vater und der Sohn, und ich ergänze der Heilige Geist, eins? Doch nicht derart, dass sie ihre Identität aufgegeben haben. Sie waren eins als Vater, als Sohn und als Heiliger Geist. Es geht nicht um eine "Vereinerleiung", um einen Einheitsbrei.5 Es geht um den Blick aufs große Ganze - der Vater blieb immer der Vater, der Sohn blieb immer der Sohn und der Heilige Geist blieb immer der Heilige Geist. Einheit in Verschiedenheit eben und die Unauflöslichkeit dieser Einheit ist für mich Ausdruck der Unverfügbarkeit Gottes. Darauf sollten wir uns immer wieder fokussieren und das klein-klein denen überlassen, die vermeintlich meinen, es zu klären.
Was Paulus hier in seinem Segen zur Sprache bringt, haben erste mutige Theologen 100 Jahre später mit dem Wort "Dreieinigkeit" ausgedrückt6 und noch heute ringen sie darum, wie dieser Begriff wahrlich auszuleuchten ist - ich halte mich an Ambiguitätstoleranz.
Schluss
Ich habe mich in der Vorbereitung irgendwann gefragt, was wäre, wenn wir mit dem Blick aufs große Ganze, auf das wesentliche Gottesbild von Trinitatis, von Gnade - Liebe - Gemeinschaft - nicht nur im Gemeindekontext, in unserem innergemeindlichen Ringen den Blick und das gegeneinander verändern würde, sondern auch außerhalb. In unseren Familien, am Arbeitsplatz, Freundeskreis, Schule ... sie wissen schon. Was würde das bewirken bei Arbeitskolleginnen, Sportkammeraden? Der anglikanische Theologe und ehemalige Bischof N.T. Wright hat Gnade einmal so beschrieben: Gnade ist nicht nur das, "was Gott frei und liebend an uns tut, sondern auch das, was er ebenso in und durch uns tut." 7 in der Kraft des Heiligen Geistes ohne dass wir dies erklären könnten. Hätte das das Potential zum Zeugnis? Zum Zeugnis für ein miteinander statt einem gegeneinander und was würden wir zur Antwort geben, würden wir nach der Ursache unserer Haltung gefragt? Würden auch wir dieses kurze und doch vollständige Gottesbild eines Paulus zeichnen:
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
Amen.
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Hartmattenstr. 17
79539 Lörrach
07621/425 09 26
eMail: karl-heinz.rudishauser(a)t-online.de
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistischer_Bruderkuss; zuletzt aufgerufen am 2.6.2025
2 https://www.sprenger.com/nachrichtenleser/die-magie-des-konflikts.html; zuletzt geöffnet am 14.6.2025
3 WRIGHT, N.T.: Paulus für heute: Der 2. Korintherbrief. Brunnen Verlag GmbH 2019. S.171f
4 a.a.O.
5 RefLab Geist.Zeit. Folge Einheit der Christenheit - 50 Jahre Leuenberger Konkordie, ab ca. Min 55
6 WRIGHT, N.T.: a.a.O. S.172
7 a.a.O S. 171
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